Zur Startseite Katharina Lukas

Katharina Lukas

Autorin

„Zefix halleluja!“

„Zefix halleluja!“

Auf einem verlassenen Bauernhof im niederbayerischen Hintersbrunn spukt es. Der Geist des Hackl-Toni, der vor vielen Jahren seine ganze Familie ausgelöscht hat, geht um. Das behauptet Franz – aber keiner glaubt ihm.
Seine Kindheitsfreundin Gundi Starck, die als Reporterin ungelöste Kriminalfälle aufdeckt, trifft im Dorf auf einen „Zuagroasten“, der das verfallene Spukhaus um jeden
Preis haben will. Als Gundi das Gehöft inspiziert, macht
sie eine gruselige Entdeckung und bringt sich dadurch
in tödliche Gefahr.

verfügbar ab 11.09.2024

Kapitel 1

 

Wie eine gesengte Sau rannte der Fürbitten-Franz zurück zu seiner Hausmeisterei. Er schmiss die Haustür hinter sich zu, drehte den Schlüssel um und polterte keuchend durch den kleinen Gang in seine Werkstatt. Mit letzter Kraft schob er den eisernen Riegel vor den Hinterausgang und sank zu Boden. Mit dem Rücken zur Tür rang er nach Luft.

»Warum glaubt mir denn n-n-nie einer?«, klagte er laut. »Warum lacht mich jeder i-i-immer nur aus? K-K-Kruzif-f-fünferl!«

Franz schlug mit den Händen auf den Estrich der ehemaligen Backstube. Momentan war er hier sicher, zwischen all seinen Werkzeugen. Die festen Türen seiner Behausung würde der rasende Axtmörder nicht überwinden können. Hier käme er nicht herein. Aber was, wenn sich der Hackl-Toni dann die Liesi holte?

Der Fürbitten-Franz, der seinen Beinamen vom weit über das übliche Alter hinaus verrichteten Ministrantendienst zurückbehalten hatte, war am heutigen Abend noch mal auf die Baustelle gegangen, nachdem er den ganzen Tag in Bruck Hecken geschnitten hatte. Es war eine schwere Arbeit, das Heckenschneiden, und es jedem Hausbesitzer recht zu machen, war auch nicht leicht. Fünf Halbe hatte er während der Arbeit getrunken und sie fast zeitgleich wieder ausgeschwitzt. Kurz vor Sonnenuntergang wollte er auf dem verlassenen Weimerhof noch einmal nach dem Rechten sehen. Er hatte dort schon seit einer Weile ein mulmiges Gefühl gehabt beim Schuttaufräumen, aber wegen der Liesi war er immer wieder hingegangen. Gleich zu Beginn wäre er beinahe von einem herabfallenden Balken getroffen worden. Da hatte er sich noch nichts dabei gedacht, er wusste ja, wie unsicher das alte Gemäuer war. Ein bisserl unheimlich war ihm geworden, als er im Obergeschoss ein Poltern hörte. Von da oben, wo der Toni seine Kinder zerhackt hat. Und als er hinaufschaute, war dort ein Schatten um die Ecke gehuscht. Franz hatte ihn gerade noch gesehen. Anderntags hatte er ein Wispern gehört, obwohl er ganz allein war.

»Franz«, hatte die Stimme geflüstert, die aus einer alten Mauer kam. »Du bist der Nächste.«

Die Bosheit im Raum hatte er am ganzen Körper gespürt. Aber die Liesi hatte gesagt, dass er sich das nur einbilde. Und heute war das Hackl wieder da. Es lag auf dem Boden des Stadels, genau unter dem Dachbalken, an dem sich der Hackl-Toni nach seiner Gräueltat erhängt hat. Franz war sich sofort sicher gewesen, dass ihn der Geist damit in der Mitte auseinanderhauen würde, wenn er nicht sofort Reißaus nähme.

Langsam richtete er sich an der verriegelten Tür wieder auf, wischte sich die Tränen und den Schweiß vom Gesicht und putzte seine Hände an der blauen Latzhose ab. Wie um sich zu versichern, dass die Welt noch in Ordnung war, berührte er jedes seiner Werkzeuge mit seinen von der lebenslangen Arbeit schwieligen Fingern. Seine Hobel waren alle an ihrem Platz, die Bohrmaschine lag mit dem dazugehörigen Verlängerungskabel im richtigen Regalfach, und die in die Wand gehauenen Stahlnägel hielten die verschiedenen Sägen bombenfest. Zuletzt nahm er sein größtes Beil vom Haken und ging damit nach vorn in den Verkaufsraum der einstigen Bäckerei von Hintersbrunn. Hier hatte er sich eine Art Rezeption eingerichtet, die aus dem alten Verkaufstresen und einem Stuhl dahinter bestand. Auf den setzte er sich jetzt, das Beil auf den Knien. Er blickte auf das frühere Schaufenster, das er bis zur halben Höhe mit alten Zeitungen abgeklebt hatte. Links davon an der Wand hing noch das graue Telefon vom verstorbenen Bäckermeister von Hintersbrunn, das Franz nie benutzte. Auch einen Terminkalender hatte er nicht, so was hielt er für eine ganz und gar unnötige Erfindung. Franz’ Hausmeisterei funktionierte dadurch, dass man bei ihm vorbeikam, wenn man etwas brauchte. Wenn er da war, hatte er Zeit, und wenn er nicht da war, dann hatte er keine Zeit. So einfach war das. Franz schüttelte den Kopf darüber, warum andere Leute das so kompliziert machten.

Mit dem sicheren Gefühl, das ihm die Axt auf den Knien gab, versuchte Franz nachzudenken. Er wusste selber, dass er nicht der Hellste war, aber jetzt musste er sich etwas einfallen lassen. Denn er brauchte Hilfe.

Es war erst ein paar Wochen her, dass ihm Liesi von der neuen Idee mit dem Weimerhof erzählt hatte. Dass sie aus dem Weimerhof ein Haus machen wollten, in dem sich alle Hintersbrunner treffen könnten. Zum Feiern oder Reden oder einfach nur Dasitzen. Franz fand das sehr schön. Er hätte gern so einen Platz gehabt. Die Dorfwirtschaft, den Bräu, mied er. Weil sich der Bräu immer über ihn lustig machte. Und weil er das meistens zu spät merkte. Franz wusste, dass es Dorfbewohner gab, die hinter seinem Rücken »Dorfdepp« zu ihm sagten. Er war sich darüber bewusst, dass er nicht so schnell denken und handeln konnte wie die anderen, aber er versuchte, diese Unzulänglichkeit mit Fleiß wettzumachen.

»Das Geld haben wir noch nicht beieinander«, hatte Liesi gesagt, also hatte er angeboten, schon einmal ein paar Vorarbeiten zu machen, bis der Architekt aus der Stadt kam. Schutt wegräumen, morsche Durchgänge sichern und so was. Trotz seines schwerfälligen Körpers konnte Franz anpacken. Er konnte Schnee räumen und Dachrinnen ausleeren, Äste abschneiden, schwere Sachen tragen und Sperrmüll wegfahren. Ein bisserl umständlich vielleicht, und manchmal dauerte es etwas länger, aber er konnte gut zuhören und die Sorgen von anderen Leuten meist im Vorfeld erahnen.

»Was ich jetzt mach, müsst ihr später nicht mehr teuer bezahlen«, hatte er zu Liesi gesagt, und Liesi hatte sich sehr darüber gefreut. Was wiederum den Franz sehr freute.

Er hatte ihr natürlich gleich zu Beginn von den unheimlichen Vorkommnissen auf dem Weimerhof erzählt. Von den Stimmen und von dem Schattengeist. Aber Liesi hatte nur gelacht.

»So was wie Gespenster gibt es gar nicht«, hatte sie gesagt. Sie würde auch die Sache mit dem Hackl nicht glauben. Und beweisen würde Franz es auch nicht können. Denn genau wie der morsche Balken würde es verschwunden sein, wenn sie nachschauen ginge.

»Frag den Moshammer Edi!«, hatte der Franz in seiner Verzweiflung an Liesi appelliert, denn der war einer, der nicht viel sagte, aber viel wusste. Der Moshammer wusste, dass der Hackl-Toni im Weimerhof umging. Liesi nannte ihn einen alten Spinner. Franz ahnte, dass er ihr die Idee mit dem Weimerhof nicht würde ausreden können. Früher oder später würde der Hackl-Toni sie erwischen. Die Liesi, die er so gernhatte, dass sein Herz manchmal heftig pumperte, wenn sie ihn anlächelte. Und auch aus den Lehrern, den anderen beiden im Dorf, die ihn noch nie Depp genannt hatten, würde der Hackl-Toni Hackfleisch machen. Sie waren alle in Lebensgefahr, wenn sie ihre Pläne mit dem Weimerhof nicht aufgaben, das war Franz klar.

In diesem Moment fiel es ihm ein. Er haute sich mit der flachen Hand so fest auf die Stirn, dass es klatschte. Warum war er da nicht schon eher draufgekommen? Es gab noch jemanden, der ihn nie ausgelacht hatte.

Die oide Schoasdromme, schoss ihm in den Kopf, und er musste laut lachen. Sie arbeitete bei der Zeitung in der Stadt. Und sie hatte vor nichts Angst. Gundi, seine Freundin von früher, die ihm dieses Haus überlassen hatte, nachdem der alte Bäckermeister gestorben war. Sie hatte ihm damals ihre Nummer an die Wand geschrieben, gleich neben dem alten Telefon.

»Wenn was ist, kannst mich immer anrufen«, hatte sie gesagt. Bisher war aber nichts gewesen. Franz legte die Axt auf den Tresen und ging zum Telefon an der Wand. Mit einem Finger fuhr er die Nummer entlang, die inzwischen schon etwas verblichen war. Er nahm den Hörer von der Gabel und klemmte ihn umständlich zwischen Schulter und Ohr. Ziffer für Ziffer arbeitete er sich mit dem einen Zeigefinger an der furchtbar langen Nummer entlang. Mit dem anderen bediente er die Wählscheibe.

 

»Wieder ein unnötiges Risiko eingegangen«, sagte Gundi Starck, als sie auf dem Marienplatz ankamen. Ihre Augen suchten das verblasste Mosaik des bärtigen Riesen an den historischen Fassaden. Man sagt, dass jeder Münchner Bürger, der das Bildnis des Schutzpatrons der Stadt ansieht, an diesem Tag keines plötzlichen Todes sterben wird. Dieser Überlieferung nach hatte Gundi schon den ganzen Tag in lebensgefährlicher Unsicherheit verbracht.

»Wenn ich alt bin, werde ich hier campieren und jeden Morgen als Allererstes den heiligen Onuphrius anschauen«, verkündete sie, als sie ihr kleines Ritual bewerkstelligt hatte. Es war als Witz gemeint, aber ein Körnchen Wunderglaube lag auch darin.

»Feilschst du wieder mit den Türstehern an der Himmelspforte?«, kommentierte Ferdl Freudenreich neben ihr. Die Gastronomie war sein Metier, und in seinen Augen machte die bayerische Spezlwirtschaft auch vor dem Herrgott nicht halt. Anders als er, der mit Religion nichts anfangen konnte, war Gundi in Fragen bezüglich einer höheren Macht unentschlossen.

So wie sie auch äußerlich verschieden waren. Gundi, ein gestandenes Weibsbild, überragte den zarten Ferdl fast um Haupthöhe. Anders als Ferdl konnte sie dieses undefinierbare Resthoffen nicht gänzlich vernichten. Dieses Gefühl, dass es schöner wäre, wenn irgendjemand da oben auf einen aufpasst. Vielleicht, weil sie auf dem Land aufgewachsen war. Im erzkatholischen Hinterland Bayerns. Die beiden langjährigen Freunde marschierten den Petersberg hoch, vorbei an den auf ihre Turmbesteigung wartenden Touristen, als die Uhr der alten Pfarrkirche schlug.

»Weißt du eigentlich, warum der Alte Peter acht Uhren hat und nicht vier, wie jeder andere Kirchturm?«, fragte Ferdl.

Gundi schaute nach oben. »Pfeilgrad. Das ist mir noch nie aufgefallen.«

Ferdl schwieg wissend, und Gundi sah ihn groß an. Dann hob sie die Hände. »Und warum hat der Petersturm acht Uhren?«

Ferdl grinste. »Damit acht Leute gleichzeitig auf die Uhr schauen können.«

»So ein Schmarrn.«

»Ist nicht von mir. Ist vom Valentin.«

Die beiden bogen um die Ecke.

»Wir marschieren jetzt über die Gräber«, schwatzte Ferdl gut gelaunt und zeigte auf die verwitterten Grabplatten an der Außenmauer der Kirche. »Vom Petersbergl aus ist der Schwarze Tod über München gekommen, und der Teufel selber hat genau hier, wo wir jetzt gehen, versucht, den Alten Peter zu erstürmen.« Mit den alten Schauermärchen der Stadtgeschichte unterhielt Ferdl gelegentlich die Gäste seines Hotels »Monarch«. Wie um die Anwesenheit von bösen Mächten zu bezeugen, wehte in diesem Augenblick ein ungemütlicher Luftzug an der Außenseite der alten Kirche entlang.

Gundi war nicht wirklich nach Blödeln zumute. Sie hatte seit Monaten keine Story mehr geschrieben und war pleite. Das Leben als freiberufliche Journalistin hatte sie sich einfacher vorgestellt. Früher, als sie noch Klatschreporterin bei der Zeitung gewesen war, hatte ihr Ferdl manchmal einen heißen Tipp geben können, zu den Promis, die in seinem Hotel in der Münchner Innenstadt abstiegen. Für eine investigative Reporterin, die sich auf ungelöste Kriminalfälle spezialisiert hatte, war die Auftragslage dagegen mehr als dürftig.

»Im Alten Peter ist übrigens die heilige Munditia aufgebahrt. Patronin der alleinstehenden Frauen«, scherzte Ferdl weiter. »Versuch’s doch mal mit ihr, anstatt immer nur den alten Onuphrius zu grüßen …«

»Ich brauch keinen Mann, um glücklich zu sein«, empörte Gundi sich humorlos. Ohne etwas davon zu ahnen, hatte er ihren wunden Punkt getroffen. Seit ihr langjähriger bester Freund auf seine alten Tage noch mal eine neue Liebe gefunden hatte, dachte sie plötzlich über ihr bisher so selbstverständliches Singledasein nach. Warum hatte sie nie den Mann fürs Leben gefunden? Verliebt war sie auch schon gewesen. Damit hatte sie sogar mehr als genug Erfahrung gesammelt und sich meistens die Finger dabei verbrannt. Sie hatte mehrere Beziehungen mit Männern gehabt, die jedes Mal versandet waren, wenn der Alltag einkehrte. Der verschmähte Karl fiel ihr wieder ein, ein kluger Kollege beim Tagblatt, mit dem sie sogar etwas länger als üblich liiert gewesen war. Als Karl mit ihr zusammenziehen wollte, von Heirat und Kindern sprach, hatte sie sich panikartig verabschiedet.

Vielleicht hatte sie ein Vatertrauma, wie Ferdl vermutete. Er meinte, dass sie wegen der Zurückweisung durch ihren kaltherzigen Vater der Zuneigung von Männern misstraute. Sie selbst war ihr ganzes bisheriges Leben lang überzeugt gewesen, dass sie allein besser dran war. Dass ein fester Partner sie nur einschränken würde. Sie war ohne feste Beziehung glücklicher. Jetzt, allein und darüber hinaus auch noch pleite, fühlte sich die jahrelang verteidigte Freiheitsliebe nicht mehr ganz so glorreich an. Gundis Selbstbild von der unabhängigen Powerfrau bröckelte gewaltig. Obendrein schlich sich ein gänzlich neuer Gedanke ein, so irritierend wie ein ungebetener Gast: Sie hatte den größten Teil ihres Lebens schon hinter sich. Würde sie als einsame Alte vor einem leeren Kühlschrank enden?

Gegen die plötzliche Kälte im Schatten der Pfarrkirche schlüpfte Gundi in die Ärmel ihrer zerschlissenen Jacke. Ferdl, wie immer tadellos gekleidet, verabschiedete sich und flanierte wie Monaco Franze den Berg hinunter zur Bushaltestelle am Viktualienmarkt. Ihr bester Freund hatte noch eine Verabredung mit seinem neuen Lover. Wenn Kone rief, hatte er keine Zeit mehr für sie. Gundi kam sich vor wie ein an der Tankstelle ausgesetzter Hund. Und was sollte das überhaupt mit der Munditia? Kannte Ferdl sie so schlecht?

Kurz entschlossen lief sie ein paar Meter zurück und betrat die dunkle Kirche. Sie begann ihren Rundgang an den Seitenaltären, die verschiedenen Heiligen gewidmet waren. Eine Handvoll älterer Menschen saß auf den Bänken im Mittelschiff verteilt, und flüsternde Besuchergruppen flanierten zwischen den Säulen umher. Einige blätterten in Reiseführern, andere ließen sich von ihren Handys informieren, fast alle trugen Turnschuhe und Bauchbeutel. Plötzlich lag sie vor ihr. Die heilige Munditia, Patronin der gefallenen Mädchen und alleinstehenden Frauen, wie Ferdl wusste. Die Ganzkörperreliquie in ihrem gläsernen Schrein räkelte sich auf einem Sofa aus Stein. Sie war in eine Brokatschärpe gewickelt. Ihren Kopf krönte ein silberner Lorbeerkranz. Der Totenschädel grinste Gundi entgegen. Die Tote sah aus wie die Darstellerin einer Halloweenshow auf St. Pauli. Man muss schon sehr verzweifelt sein, wenn man sich von dieser Gruselbraut Beistand erbitten muss, dachte Gundi. Sie wandte sich ab, setzte sich in eine der Kirchenbänke und schloss die Augen. Nach einer Weile umfing sie die Stille des hohen Raums wie ein lautloses Wiegenlied. Genau hier, wo sie jetzt saß, luden die Menschen seit 800 Jahren ihre Sorgen ab. Seit Jahrhunderten erbaten sich die Bekümmerten hier Hilfe und schöpften neue Hoffnung. Mit einem Mal kamen Gundi ihre eigenen Probleme klein und lächerlich vor. Sie warf einen Blick zurück zum Skelett der Munditia.

»Vorbei ist es erst, wenn ich tot bin«, sagte sie leise zu sich selbst und stand auf. Auf dem Weg zum Ausgang fiel ihr ein großer Opferstock im hinteren Teil der Kirche auf. Neugierig ging sie darauf zu. Auf einem wagenradgroßen Tisch brannte in mehrstöckigen Reihen ein Meer von kleinen Teelichtern, die man gegen Münzeinwurf erstehen konnte. Der Heilige, für dessen Fürsprache die Kirchgänger so viele Lichter anzündeten, musste extrem beliebt sein. Eine Inschrift an der Wand verriet, um wen es sich handelte: Es war der Apostel Judas Thaddäus, verehrt und angerufen als Helfer in hoffnungslosen Fällen. Gundi musste ein Lachen unterdrücken. Sicherheitshalber zündete aber auch sie eine Kerze an.

Kaum war sie aus dem südlichen Portal ins Freie getreten, klingelte ihr Handy. Es war der Anschluss ihres Vaters aus Hintersbrunn, und für den Bruchteil einer Sekunde erschrak sie bis ins Mark. Die vergessene Beklemmung war sofort wieder da. Die Erinnerung an ihre Kindheit, in der sie das dicke Bäckerdirndl aus Hintersbrunn gewesen war, das Watschen bekam, wenn es nicht parierte. Sie erinnerte sich auch an das bigotte Dorf, in dem das alle mitbekamen, aber nichts sagten. Ihre Heimat in Niederbayern, die sie mit fliegenden Fahnen verlassen hatte, sobald sie volljährig gewesen war. Aber der Anrufer konnte nicht ihr Vater sein, der war seit Jahren tot. Es musste Franz sein. Der, der jetzt in ihrem alten Elternhaus wohnte und den alten Telefonanschluss der Einfachheit halber übernommen hatte. Der gutmütige Gefährte ihrer Kindheit hatte sie noch nie angerufen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, und sie berührte das grüne Symbol auf ihrem Handy.

»Franz, du oide Fischhaut!«, begrüßte sie ihn.

»D-d-du musst unbedingt kommen«, erhielt sie zur Antwort.

 

 

 

Kapitel 2

 

»Was is heut für a Tag?«, sang Mariele leise vor sich hin.

»Heut ist Mo-ho-ntag! Heut is Knödeltag!«

Beherzt griff die Bräuin in die große Schüssel, in der sie eingeweichtes Brot mit Eiern, Zwiebeln und Petersilie vermischt hatte. Sie teilte die erste Handvoll ab und begann, die klebrige Masse mit kreisenden Bewegungen in ihren Handhöhlen zu formen.

»Wann alle Tag Montag Knödeltag wä-re, ja da wär’ ma lust’ge Leit, jucheh!«, sang sie und wackelte mit ihren kräftigen Hüften im Rhythmus.

Mariele Greimer, Wirtin vom Greimerbräu in Hintersbrunn, war es von Kindesbeinen an gewohnt, im Gasthaus zu arbeiten. Sie dachte gern zurück an ihre Kindheit, in der sie als kleines Mädchen in der Wirtshausküche mit den riesigen Töpfen und Pfannen gespielt hatte. Sie war die Tochter des legendären Jagerwirts zu Schwindach, einem Prackl von Mannsbild, mit einer urbayerischen Widerspenstigkeit gegen alle Neuerungen der Moderne. Noch heute erzählt man sich in ihrer Familie die Geschichte von dem Touristen, der sich einmal in die Wirtsstube ihres Vaters verirrt hatte und wegen der fehlenden Speisekarte nach der Empfehlung des Hauses fragte.

»Ja mei, der Leberkas müsst weiter«, war die Antwort ihres Vaters gewesen. Ihr Bruder fand das zum Schreien lustig, sie selbst schämte sich für die Rückständigkeit ihres Vaters. In diesen Gedanken versunken, formte sie ihre beachtlichen Knödel und sang ihr Kettenlied weiter: »Wenn alle Tag Montag Knödeltag, Dienstag Nudeltag, Mittwoch Strudeltag wä-re, ja da wär’ ma lust’ge Leit, jucheh!«

Für heute Abend hatte sie ihre Freunde vom Kulturverein eingeladen, um die Pläne für das neue Bürgerzentrum in Hintersbrunn zu besprechen. Seit diese Idee in der Welt war, fühlte sie sich wieder wie eine junge Frau, und ihre Augen glänzten bei dem Gedanken an die Ausstellungen, Lesungen und Filmabende, zu denen sie als Veranstalterin einladen werden würde. Den Anfang würde eine Werkschau der jungen Töpferin aus Bruck machen, die traditionelle Keramik herstellte und allerlei anderes Kunsthandwerk. Die hatte sie heute besucht, und sie konnte es kaum erwarten, ihren Mitstreitern die frohe Botschaft zu verkünden. Für das abendliche Treffen mit dem Kulturverein bereitete sie heute einen Zwiebelbraten vor. Weil die Evelyn kein Schweinefleisch mochte. Und Semmelknödel passten ja immer.

»Was is heut für a Tag? Heut ist Donnerstag! Heut ist Fle-isch-tag!«

Ihr Mann, der Bräu, hatte für den Kulturverein kein gutes Wort übrig. Er hatte für die feinen und schönen Dinge des Lebens noch nie einen Sinn gehabt und hielt Marieles Träume für Spinnereien. Schon bei der Übernahme der Dorfgaststätte von seinen Eltern hatte sie die schöne alte Wandverkleidung aus Holz restaurieren wollen. Er hatte die alten Hölzer durch braune Fliesen ersetzt. Wegen des einfacheren Saubermachens.

»Als ob der jemals einen Putzlumpen in der Hand gehabt hätte«, sagte sie in der Erinnerung zu sich selbst. Mit Grauen dachte Mariele an die erbitterten Streitgespräche in den ersten Jahren ihrer Ehe. Sie wollte Töpfe mit Wiesenblumen auf den Tischen. Er entschied sich für abwischbare Tischdecken. Sie träumte von Liederabenden und Dichterlesungen, er vom Bierumsatz und von Schafkopfturnieren. Als sie die verstaubten Hirschgeweihe von anno dazumal in der Gaststube loswerden wollte, hatte er den bislang einzigen Gedanken seines Lebens, der immerhin ansatzweise etwas mit Kunstsinn zu tun hatte: Er kam mit dem kitschigen Gemälde eines röhrenden Hirschs an. Das hässliche Ding zierte seitdem eine Wand der Gaststube. Den Todesstoß hatte er ihrer Ehe aber nicht durch seine Unkultiviertheit verpasst. Es war die Kaltherzigkeit, mit der er die Verantwortung für ihren gemeinsamen Sohn Basti ablehnte. Als sie ihren schwerbehinderten Buben am Ende ihrer Kräfte schließlich in ein Pflegeheim gegeben hatte, war die Ehe der beiden Wirtsleute am Ende gewesen. Seither waren sie Gefangene ihres gemeinsamen Geschäfts und der immensen Kosten. Von Marieles jugendlichen Träumen war nichts übrig geblieben. Die Eheleute sprachen kaum mehr ein Wort miteinander.

»Was is heut für a Tag? Heut ist Freitag! Heut ist Fastentag!«

Das neue Kulturzentrum kam ihr vor wie ein rettender Anker in der Not. Sie hatte nach vielen Jahren wieder begonnen, an sich selbst zu glauben. Sie würde mit Catering bei Veranstaltungen beginnen. Vielleicht einen kleinen Cafébetrieb einrichten. Mit selbst gemachtem Kuchen und Kanapees.

»Marieles feine Kanapees«. Wie schön das klang. Bald würden die Dorfbewohner ihre Hochzeiten und Familienfeiern nicht mehr auswärts begehen. Sie würde ihren Mann in seinem miefigen Wirtshaus zurücklassen, wo er sich jeden Abend mit seinen Saufkumpanen volllaufen lassen konnte. Im Sommer könnte sie auf der Wiese hinter dem verlassenen Bauernhof, in dem das neue Kulturzentrum entstehen sollte, ein richtiges Volksfest veranstalten. Für die Jugend müsste es auch was geben. Kinonächte vielleicht. Und für die Alten Seniorenabende mit Tanz. Sie hatte den Kopf voll mit Plänen und konnte es kaum erwarten, ihren Freunden von ihren vielen Ideen zu erzählen. Sie würde auf dem Weimerhof schnell Gewinn machen und ihre Schulden tilgen. Dann konnte ihr Mann hingehen, wo der Pfeffer wuchs.

»Was is heut für a Tag? Heut ist Sa-amstag! Heut ist Zahltag!«

Plötzlich hörte sie die Stimme des Bräus aus der Gaststube. Stritt er etwa mit dem armen Moshammer? Bast konnte den alten Mann nicht leiden, der von früh bis spät in seiner Gaststube saß, kaum etwas konsumierte und im Winter oft nur die Wärme des Kachelofens genoss. Mariele hielt im Knödelmachen inne und horchte. Nein, der Greis war es nicht, gegen den sich ihr Mann behauptete. Sie vernahm die Stimme von Zenker, diesem Hodalump, mit dem ihr Gatte neuerdings die Köpfe zusammensteckte. Irgendwas heckten die beiden aus. Zenker war erst vor ein paar Jahren aus den neuen Bundesländern nach Hintersbrunn gezogen, und mit ihm stimmte etwas nicht. Genau wie mit seiner Frau, die ihre Zöpfe altmodisch um den Kopf gewickelt trug. Wie im vorigen Jahrhundert. Die Zenkers hatten drei verdruckste Kinder im Alter von acht bis zwölf, die Mariele manchmal sah, wenn sie in den Schulbus stiegen. Die ganze Familie wirkte auf sie wie aus der Zeit gefallen. Sie lebten zurückgezogen auf einem Anwesen außerhalb von Hintersbrunn, das sie von einer auswärtigen Baufirma großkotzig hatten herrichten lassen. Arm waren sie also nicht, die Zenkers. Vor dem Haus parkten teure Autos. Trotzdem ließ sich der Zuagroaste ständig einladen. Mariele mochte solche Menschen nicht.

»Was is heut für a Tag? Heut ist Sonntag! Heut ist Lumptag!«

Sie wischte sich die nassen Hände an der Schürze ab und ging Richtung Gaststube. Sie musste herausfinden, was ihr Mann und dieser Zenker ausbrüteten.

»Du bis en Depp, Bastl. Bloß ä bissl Geisterbahn nutzt gor nischt«, knurrte Lutz Zenker. Er war ein großer Mann mit breitkrempigem Hut und mächtigem Vollbart. Immer wenn er sich ärgerte, hörte man den Sachsen heraus.

»Sag ned Bastl zu mir«, schnauzte der Angesprochene zurück, dem man den Niederbayern zu jeder Zeit anhörte. »Ich bin der Bräu. Wie lang bist jetzt schon bei uns, Lutz? Ein bisserl was musst du doch in der ganzen Zeit gelernt haben!«

Sebastian Greimer, der Wirt vom Greimerbräu, war in Bezug auf seine Anrede eigen. Er war kein »Wastl« oder »Bastl«. Auch kein »Sepp« oder sonst wie abgekürzt. Er wollte auch nicht »Greimer« genannt werden und erst recht nicht »Herr Greimer«. Er war »der Bräu«, eine Institution im Dorf, wie der Pfarrer und der Bürgermeister. Außerdem mochte er es nicht, wenn jemand sagte, dass er ein Depp sei.

Lutz Zenker, der Zuagroaste, verdrehte die Augen. Seine Angelegenheit war viel zu ernst für sprachliche Auseinandersetzungen. Er war seit fast drei Jahren in Hintersbrunn ansässig, aber die Einheimischen erwiesen sich als unerwartet sturköpfig, was die Willkommenskultur anging. Jetzt hatte er die Schnauze voll und wollte endlich Nägel mit Köpfen machen. Dass er beim Erwerb des Weimerhofs, diesem geschichtsträchtigen Gebäude im Zentrum des Dorfes, Konkurrenz bekommen hatte, wurmte ihn.

»Ich mein ja nur, dass wir nicht wirklich weiterkommen, wenn wir den Dorfdeppen ein bisschen erschrecken«, lenkte er ein und verwies die Deppenbezeichnung dorthin, wo sie in den Augen vom Bräu auch hingehörte. Zum Fürbitten-Franz, dem Handlanger des Kulturvereins, dessen Bekämpfung zumindest zwei der Männer in der Wirtstube des Greimerbräu einte. Wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.

»Der Haumdaucha, der damische, hat sich vor lauter Angst in die Hosen bieselt«, trumpfte der Bräu ungeachtet der Einwände des Sachsen fort. »Dabei hab ich nur ein Hackl hingelegt.« Er grinste in seiner Erinnerung an das entgleiste Gesicht von Franz.

»Der ist so saublöd, nach dem kannst die Uhr stellen. Jeden Abend um dieselbe Zeit geht der bei mir vorbei zum Weimerhof und glotzt. Ich glaub, der zählt nach, ob die Fenster noch alle da sind. D-d-drei! V-v-vier!«, äffte er das Stottern seiner Zielscheibe nach. Auf der Suche nach Applaus haute er Alois Münchinger auf den Oberarm. Alois war der dritte im Bunde, hatte bisher aber noch nichts gesagt. Außer dem stocktauben Moshammer, der hinten neben dem Kachelofen in sein Bier starrte, waren sie allein in der Gaststube.

»Dann geht er immer zum Schupfen, macht das Tor einen Spalt auf und schaut hinein«, fuhr der Bräu fort, von seinem Streich zu erzählen. »Als ob er auch da was nachschauen muss. So bin ich überhaupt draufgekommen. Ich hab mir gedacht, der schaut wahrscheinlich nach, ob der Hackl-Toni da noch hängt.«

Der Bräu nahm zufrieden einen Schluck aus seinem Glas. Er hatte sich mit Zenker ursprünglich nur verbündet, weil der Sachse die Spinnereien der Bräuin durchkreuzen wollte. Inzwischen hatte er aber eine Idee, wie er außerdem von Zenkers Plänen profitieren konnte.

Zenker hatte nur mit halbem Ohr zugehört. Als er von der besonderen Geschichte des Weimerhofs erfahren hatte, hatte sein Plan schnell Gestalt angenommen. Ein Zentrum für seine Bewegung wollte er daraus machen. In der Mitte des Dorfes. Er hatte dem Gemeinderat ein Kaufangebot gemacht und erwartet, dass dieser sofort annehmen würde. Und dann hatte dieser Gutmenschen-Verein sein Vorhaben durchkreuzt. Plötzlich sprachen Bürgermeister und Gemeinderäte von einer Nutzung zum Wohle aller. Überlegen würden sie es sich dennoch, war alles, was Zenker den Ehrenamtsträgern entlocken konnte.

»Wir müssen diesen Besserwissern etwas entgegensetzen«, kam Zenker auf den Grund für die Zusammenkunft zurück. Mit dieser Bezeichnung meinte er das pensionierte Lehrerehepaar, die Dorfladenbesitzerin und die eingebildete Frau vom Bräu. Den Kulturverein.

»Als Erstes müssen wir auch einen Verein gründen«, beschloss er. »Gemeinnützig, versteht sich.«

Die drei Verbündeten stießen an.

»Ab heute sind wir die ›Freunde des Diogenes‹«, fuhr Zenker pathetisch fort. Er gab sich gerne den Anschein eines Gebildeten. Jetzt blickte er auf heruntergefallene Kinne.

»Weil Diogenes, der zog sein Ding durch«, erklärte er. »Er hat’s dem mächtigen Alexander so richtig gegeben.«

»Geh mir aus der Sonne!«, rief der Bräu, dem die Geschichte aus dem Schulunterricht wieder eingefallen war.

»Diogenes, der kroch ins Fass und sprach ja-ja, das kommt von das«, ergänzte Zenker zufrieden, unwissend, dass er nicht aus einer historischen Überlieferung zitierte, sondern Wilhelm Busch.

»Wir sollten uns alle Vereinsnamen geben«, meldete sich Alois. »Ich heiß ja bei meinen Freunden schon lang ›Gringo‹. Du, Zenker, könntest der ›Dingo‹ sein. Von Diogenes, du verstehst. Und du, Bräu, …«

»Wir brauchen ein Programm«, fiel ihm Zenker ungehalten ins Wort. »Eine Agenda. Aber nicht Kultur, sondern etwas, was die Leute noch dringender brauchen.«

»Handyempfang?«, fragte Alois.

Der Bräu schüttelte missbilligend den Kopf. Er hielt Alois für einen Loser. Jeder im Dorf wusste, dass der eing’schichterte Schreiner sich nur deshalb an Zenker heranwanzte, weil er dessen Frau gern anstarrte. Oder deren ordentliches Holz vor der Hütte. Zenker bemerkte das nicht. Er nannte sich selbst einen »Freigeist« und hielt Alois für seinen Fan.

»Ein Geld ist es, was die Leut brauchen«, berichtigte der Gastwirt Alois. »Oder Leute, die wo Geld bringen.« Er sprach aus Erfahrung, seinem Gasthof fehlte Kundschaft.

»Touristen? Womit könnte man denn Touristen anlocken?«

»Der Weimerhof steht unter Denkmalschutz«, überlegte der Bräu. »Vielleicht was mit Brauchtum?«

»Tradition … Heimat …«, pappte Zenker an die imaginäre Pinwand seines Gehirns.

Er forschte noch eine ganze Weile in den Windungen, während ihn seine Vereinskollegen erwartungsvoll anschauten. »Was wisst ihr von den historischen Ereignissen, die sich auf dem Weimerhof abspielten?«, fragte er unvermittelt.

Der Bräu stutzte. »Meinst du die Morde vom Hackl-Toni?«

»Nein, früher.«

»Wie früher? Steinzeit?«

»Zweiter Weltkrieg.«

»Ist alles brav unterm Teppich, hier in Hintersbrunn. Hat keiner was damit zu tun gehabt«, kommentierte der Bräu sarkastisch.

Zenker nahm seinen Hut ab und kratzte sich am Kopf. »Wir brauchen auf alle Fälle Unterstützer.«

Erneut breitete sich Ratlosigkeit am Tisch aus.

»Woher nehmen und nicht stehlen«, trug Alois auf Hochdeutsch bei.

»Das sind doch alles Esel im Dorf«, sinnierte der Bräu.

»Einen, der ein Machtwort spricht«, konkretisierte Zenker.

Alois, dessen Kernkompetenz darin bestand, sich an die Mächtigen zu halten, hatte einen Geistesblitz: »Den Bürgermeister!«

Zenker strich sich über den Bart. »Womit könnte man den denn überzeugen?«

»Der Girgl ist ein Kaschperlkopf«, kommentierte der Bräu, der den Hintersbrunner Bürgermeister seit Kindertagen kannte. »Der erkennt ein gutes Geschäft nicht einmal, wenn du ihn mit der Nase hineintauchst.«

Alois witterte seine Chance zu punkten. »Du kannst den Bürgermeister mit seiner Fußballmannschaft kriegen. Wennst ihm hilfst, dass die aufsteigt, dann kriegst von dem alles.«

»Sollen wir jetzt vielleicht den Messi einkaufen, du Kletznbene«, maulte ihn der Bräu an. Er wollte gerade zu einer ausführlicheren Beschimpfung des nutzlosen Bürgermeisters anheben, als auf Zenkers Gesicht ein breites Grinsen erschien.

»Der Bürgermeister will also Ruhm und Ehre für das Dorf?«

Alois nickte. »Und in der Zeitung stehen.«

Zenker schaute seine Vereinsmitglieder verschwörerisch an. »Ich glaub, ich hab da was in meinem Besitz, womit ich dem Gernegroß eine Freude machen kann.«

In diesem Moment ging am anderen Ende der Gaststube die Tür zur Küche auf. Mariele, die Frau des Wirts, kam in die Gaststube und warf den dreien am Stammtisch einen missmutigen Blick zu. Sie wusch sich die Hände am Tresen, zapfte ein Bier, das sie ungefragt dem stillen Greis in der Ecke brachte, und fing an, hinter der Theke Gläser zu polieren.

»Vorsicht, Feind hört mit!«, flüsterte ihr Mann seinen Kumpanen zu.

Die Freunde des Diogenes saßen schweigend vor ihrem Bier und warteten. Aber Mariele machte keine Anstalten, sich zu verzupfen.

»In diesem Sinne«, beschloss deshalb Zenker nach einer Weile die schweigsame Sitzung, und der Bräu pflichtete ihm mit seinem üblichen »Schwoammas owe!« bei. Folgsam leerte Alois sein Glas.

Als Zenker und Münchinger die Gaststube verlassen hatten, trug Sebastian Greimer die benutzten Gläser zur Theke und stellte sie demonstrativ vor seiner Frau ab. Mariele schaute ihn an, ohne eine Miene zu verziehen. Während sie weiterputzte, bewegte sich der Bräu um die Theke herum und kam ihr unangenehm nah. Direkt hinter ihr nahm er ihr wortlos das gerade in Arbeit befindliche Bierglas aus der Hand und zapfte sich einen Schnitt, den er anschließend in einem Zug austrank. »Ahh!«, kommentierte er zufrieden den kühlen Genuss und stellte auch dieses Glas vor seiner Frau ab. Mariele tat so, als würde sie es nicht bemerken. Erst als er schon fast bei der Tür war, fiel das erste Wort zwischen den Eheleuten.

»Die Glasl von deine Freibierlätschn kannst aber selber waschen!«, rief sie ihm nach. »Hast ihn wieder ausg’halten, dein neuen Freund, den Heislschleicher, ha?«

Sebastian Greimer hätte die Tür zur Gaststube am liebsten hinter sich zugeschmissen, wenn da nicht der Türdämpfer gewesen wäre.

 

(…)